Eureka, heute gibt es wieder einmal einen Artikel über Hefe. Heute geht es um Brettanomyces. In der Bierwelt häufig mit «Brett» abgekürzt. Was genau ist Brett? Das wollen wir uns heute etwas genauer anschauen.
Taxonomie 101
In der Biologie beschäftigt sich die Taxonomie mit der systematischen Kategorisierung und Benennung von Lebewesen. Die Taxonomie basiert auf einem Rangstufen System mit verschiedensten Stufenfolgen die sich immer weiter verfeinern bis ganz nach unten auf eine Art. Die Einteilungskriterien für die jeweiligen Stufen basieren hier primär auf anatomischen Merkmalen, Verhaltensweisen oder auch physiologischen Prozessen. Heisst die Lebewesen werden zum Beispiel anhand von Schnabelformen oder Skeletteigenschaften unterschieden.
Wenn wir uns die Einteilung des Menschen im Vergleich zur Backhefe und Brett anschauen fällt auf, das sich Mensch und Hefe schon auf der zweiten Stufe (Reich) unterscheidet. Der Mensch wird zu den Tieren gezählt, und Backhefe wie auch Brett zu den Pilzen. (Für mitlesende Taxonom*innen, ich habe bewusst einige Stufen in der Tabelle unten übersprungen). Ich höre häufig, das Hefe korrekterweise als Pilz bezeichnet wird. Taxonomisch korrekt, obschon viele von uns bei Pilz an etwas anderes denken mögen als Hefe.
Deutsch |
Mensch |
Backhefe |
«Brett» |
---|---|---|---|
Domäne | Eukaryoten | Eukaryoten | Eukaryoten |
Reich | Tiere | Pilze | Pilze |
Unterreich | Metazoa (Vielzeller) | Dikarya | Dikarya |
Abteilung | Histozoa (Gewebetiere) | Schlauchpilze (Ascomycota) | Schlauchpilze (Ascomycota) |
Unterabteilung | Bilateria (Zweiseitig-Symmetrische) | Saccharomycotina | Saccharomycotina |
Klasse | Mammalia (Säugetiere) | Saccharomycetes | Saccharomycetes |
Ordnung | Primates (Herrentiere) | Echte Hefen (Saccharomycetales) | Echte Hefen (Saccharomycetales) |
Familie | Hominidae (Menschenartige) | Saccharomycetaceae | Pichiaceae |
Gattung | Homo | Zuckerhefen (Saccharomyces) | Brettanomyces |
Art, Spezies | sapiens | Backhefe | bruxellensis |
Die taxonomischen Unterschiede zwischen Backhefe und Brett sind hier vergleichsweise klein (erst auf Stufe Gattung). Brett ist also taxonomisch eine echte Hefe aus der Familie der Pichiaceae und Gattung Brettanomyces. Die Taxonomie hilft nicht nur um Unterschiede aufzuzeigen sondern auch bei der systematischen Benennung von Lebewesen. So wird beispielsweise die Backhefe wissenschaftlich auch Saccharomyces cerevisiae genannt, und Brettanomyces beispielsweise Brettanomyces bruxellensis. Soweit die klassische Sicht der Dinge 🙂
Die moderne systematische Kategorisierung von Lebewesen basiert heute verstärkt auf Evolutionsbiologischen Kriterien und versucht die Lebewesen gemäss ihrer Entwicklung zu klassifizieren. Sei es beispielsweise basierend auf DNA-Sequenzen. Im Grundgedanke geht es darum, dass sich nahe verwandte Lebewesen eher wenig in ihren DNA-Sequenzen unterscheiden, und weit entfernte Verwandte grössere Unterschiede aufweisen. Diese Unterschiede können dann beispielsweise auch dazu verwendet werden, Stammbäume und Grad der Verwandtschaften zwischen Lebewesen zu untersuchen. Häufig sieht man hierzu auch phylogenetische Stammbäume wie der folgende. Wobei die Länge der «Äste» mit der Distanz der Verwandtschaft korreliert. Im unteren Beispiel sind beispielsweise Vertreter von Dekkera, Zygosaccharomyces und Torulaspora (verschiedene Hefearten) untereinander nahe verwandt. Weiter kann abgeleitet werden, dass Saccharomyces cerevisiae näher mit Torulaspora verwandt ist als beispielsweise Dekkera.
Jetzt aber genug Taxonomie und zurück zu Brett. Was ist Brettanomyces? Wir wissen jetzt, dass Brett eine andere Familie von Hefen ist die sich von der normalen Bierhefe Saccharomyces cerevisiae klar abtrennen lässt.
Brettanomyces und Bier
Verschiedene Vertreter von Brettanomyces (mehr dazu etwas später) spielen eine wichtige Rolle bei der Herstellung von Wildbieren wie Lambics/Gueuze und weiteren belgischen Vertretern wie Flanders Red Ales. Heute gibt es auch diverse andere, modernere Biere die mit Brettanomyces hergestellt werden. Brettanomyces kann aber auch in Wein gefunden werden, wobei hier Brettanomyces eher für seine verderbliche Wirkung bekannt ist.
Wie fand man Brettanomyces? Brettanomyces wurden erstmals 1903 von Claussen in Dänemark entdeckt. Claussen arbeitete damals in der Carlsberg-Brauerei und untersuchte Biere aus Grossbritannien und fand darin eine merkwürdig langsam wachsende Hefe. 1904 sprach Claussen an einer Konferenz über die Verwendung von Hefen in British Ales und erwähnte damals erstmals den Namen Brettanomyces für seine neu entdeckte Hefe. Der griechische Name besteht aus „Myces“ (Pilze) und „brett“ als Referenz zur britischen Herkunft der Hefe. Brettanomyces bedeutet demnach eigentlich «britischer Pilz».
Weitere Wissenschaftler wie Custers untersuchten die Hefe um 1940 systematischer und Krumbholz und Tauschanoff isolierten 1930 Brettanomyces auch erstmals aus Weinproben. Bis dahin wurden Brettanomyces hauptsächlich mit Bier in Verbindung gebracht. Später beobachteten van der Walt und van Kerken die Bildung von Ascosporen in einigen Brettanomyces-Stämmen. Bevor wir fortfahren, machen wir einen weiteren kurzen Ausflug.
Fortpflanzung bei Hefe
Hefen haben im Allgemeinen zwei verschiedene Möglichkeiten sich zu vermehren. Eine davon ist ein ungeschlechtlicher/asexueller, der andere ein sexueller Fortpflanzungsschritt. Hefezellen die den ungeschlechtlichen Lebenszyklus durchlaufen vermehren sich durch Knospung oder Sprossung. Diese Art ist bei Hefen die häufigste Art sich fortzupflanzen. Auf der anderen Seite können einige Hefezellen stattdessen einen sexuellen Fortpflanzungsschritt durchlaufen. Haben also zwei Möglichkeiten. Im sexuellen Zyklus produzieren die Zellen Sporen aus denen dann neue Hefen hervorgehen können. Im Falle von Brettanomyces Ascosporen genannt. Auf weitere Details möchte ich hier nicht eingehen. Es reicht für heute zu wissen, dass eine Gruppe von Hefen einen sexuellen Fortpflanzungsschritt durchlaufen und Sporen bilden kann.
1964 schlugen die beiden Wissenschaftler für diese Brettanomyces-Stämmen eine neue Art namens Dekkera vor. Da sich diese von anderen Brettanomyces-Stämmen in der Art der Fortpflanzung klar unterschieden. Taxonomisch werden Brettanomyces jene Brettanomyces-Stämme bezeichnet, die nur den asexuellen Fortpflanzungszyklus (Knospung) durchlaufen können. Dekkera hingegen kann zusätzlich einen sexuellen Lebenszyklus durchlaufen und Ascosporen bilden. Sich aber gleichwohl wie Brettanomyces asexuell durch Knospung vermehren. Die Art der Fortpflanzungsmöglichkeiten entscheidet über den Unterschied im Namen – Dekkera oder Brettanomyces. Dekkera kann Sex haben – mit sich selber…, Brettanomyces nicht.
Da die Ascosporenbildung bei Dekkera nicht ganz so einfach zu beobachten ist, fanden für Brettanomyces-Stämme im Laufe der Zeit viele Umkategorisierungen statt. Bis 2000 wurden fünf Arten von Brettanomyces/Dekkera akzeptiert:
– Dekkera anomala (Synonym: Brettanomyces anomalus)
– Dekkera bruxellensis (Synonym: B. bruxellensis, B. lambicus)
– Brettanomyces custersianus
– Brettanomyces naardenensis
– Brettanomyces nanus
Dekkera anomala und Dekkera bruxellensis sind die einzigen beiden Arten, die den sexuellen Lebenszyklus durchlaufen können. Die anderen drei Brettanomyces-Arten können das nicht. Und um die Sache noch verwirrender zu machen, wird B. anomalus als Synonym für D. anomala bzw. B. bruxellensis für D. bruxellensis akkzeptiert… Bedeutet, dass man D. anomala auch als B. anomala bezeichnen kann… Obwohl B. anomalus und B. bruxellensis (vom Standpunkt der Taxonomie) falsche Namen für die beiden Dekkera-Stämme sind. Was haben wir daraus gelernt? Es gibt Taxonomie mit dem Ziel, eindeutige Namensregelungen zu definieren. Und Synonyme, um die klaren Unterschiede wieder aufzuweichen da häufig im alltäglichen Umgang Synonyme verwendet werden. Schlussendlich kann und sollen uns diese kleinen Unterschiede und taxonomischen Feinheiten egal sein. Ich werde daher fortan in diesem Artikel nur noch Brettanomyces als Artenbezeichnung verwenden.
Was für Brettanomyces-Arten gibt es denn?
B. anomala ist eine Verderbnishefe in alkoholfreien Getränken wie auch bei Weinen. B. anomala wird auch häufig in Lambics und Gueuzes gefunden
B. bruxellensis ist ebenfalls eine Verderbnishefe und kommt in Apfelwein, Bier und Wein vor. Und auch B. bruxellensis konnte in Lambics und Gueuzes sowie Kombucha nachgewiesen werden. Der Name «bruxellensis» widerspiegelt wohl seine Verbindung zu Brüssel und den dort vorkommenden Lambics.
In der Brauszene ist B. bruxellensis und B. lambicus ein häufiger Begriff und kann von verschiedenen Hefelabors gekauft werden. Beide Hefen gehören zu den Dekkera-Arten und können Sporen bilden. Aus taxonomischer Sicht sind B. bruxellensis und B. lambicus also gleich. Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich um genau die gleiche Hefe handelt. Sie haben ja irgendwie einen anderen Namen. Was ist also der Unterschied?
Es ist wie beim Menschen. Wir sind alle von derselben Art, sehen und verhalten uns aber alle etwas unterschiedlich. Einige mögen lieber dunkle Biere, andere lieber Helle. Das bedeutet, dass sich innerhalb der Art verschiedene Vertreter befinden können. Bei Hefen spricht man häufig von Stämmen. B. bruxellensis und B. lambicus bezeichnet daher zwei verschiedene Stämme von B. bruxellensis. In früheren Zeiten war es die Ehre des Entdeckers das neue Lebewesen zu benennen. Was dazu geführt hat, das bei einigen Hefen sehr viele Namen für ein und die gleiche Hefe vergeben wurde. Es konnte dann erst viel später nachgewiesen werden, dass für den gleichen Vertreter mehrere Namen vergeben wurden. Also die gleiche Hefe eigentlich mehrfach entdeckt wurde. In solchen Fällen wird dann ein offizieller Name für die Art ausgewählt, und alle anderen Namen als Synonyme aufgeführt. Das kann es dann noch schwieriger machen, durch den Taxonomie-Zoo der Hefen durchzublicken. Wir haben also gelernt, dass zusätzlich zu verschiedenen Arten von Brettanomyces auch verschiedene Stämme existieren können.
Eher weniger bedeutend sind die folgenden Stämme:
B. custersianus wurde erstmals aus Bantu-Bier (einem Hirsebier) in Afrika isoliert
B. naardenensis ist eine weitere Verderbnishefe die jedoch nicht in Lambics und Gueuzes vorkommt
B. nanus wurde in Bier aus Schweden nachgewiesen
Und wie ich diesen Artikel schreibe lese ich erstmals über einen weiteren Vertreter, B. acidoduran. Einer Hefe die aus Olivenöl isoliert und Essigsäure produzieren soll (Péter et al. 2017). Diese Entdeckung zeigt auch exemplarisch auf, dass in Sachen Brettanomyces noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde.
Das war es auch schon wieder für heute mit einer groben Übersicht zur Welt der Brettanomyces Hefen. Was genau diese Hefen einzigartig bei der Bierherstellung macht, schauen wir uns in einem nächsten Artikel an.
Bibliography
- Doss, G., 2008. Brettanomyces: Flavors and performance of single and multiple strain fermentations with respect to time. AHA NHC June 2008 lecture slides. (Link to lecture slides)
- Kurtzman, C.P., Fell, J.W., Boekhout, T., 2011. The Yeasts, a Taxonomic Study. Volume 1. Fifth edition. Elsevier (Link to sciencedirect)
- Péter G, Dlauchy D, Tóbiás A, Fülöp L, Podgoršek M, Čadež N. Brettanomyces acidodurans sp. nov., a new acetic acid producing yeast species from olive oil. Antonie Van Leeuwenhoek. 2017 May;110(5):657-664. doi: 10.1007/s10482-017-0832-8. Epub 2017 Feb 3. PMID: 28160110
- Suárez, R., Suárez-Lepe, J.A., Morata, A. & Calderón, F., 2007. The production of ethylphenols in wine by yeast of the genera Brettanomyces and Dekkera: A review. Food Chem. 102, 10-21 (Link to sciencedirect)
- Sparrow, J., 2005. Wild Brews: beer beyond the influence of brewer’s yeast. Brewers Publication (Link to amazon)
- White, C., Zainasheff, J., 2010. Yeast: the practical guide to beer fermentation. Brewers Publication (Link to amazon)